
Aufbruch von Francois Loeb


Briefkasten leeren. Wie jeden Tag. Postkarten aus dem Süden. Einige aus dem hohen Norden. Schneeweiss. Auch der Polarfuchs fehlt nicht. Schmuddelwetter hier. Was sehne ich mich nach dem Frühling. Dem Erwachen der Natur.
Briefkasten leeren. Wie jeden Tag. Postkarten aus dem Süden. Einige aus dem hohen Norden. Schneeweiss. Auch der Polarfuchs fehlt nicht. Schmuddelwetter hier. Was sehne ich mich nach dem Frühling. Dem Erwachen der Natur.
So wie ich, der die von der Kälte tropfende Nase voll hat. Immerhin verkünden viele Prospekte vom kommenden Aufbruch in die herrlichste Jahreszeit voller Blüten und Bienensummen. Da, was ist das? Ein gerolltes Stück farbiges Papier. Was den Werbetreibenden nicht alles einfällt, um Aufmerksamkeit zu erregen. Doch tatsächlich ist meine Neugier geweckt. Neugier? Alles Neue hat magnetische Anziehung für mich. Bin wohl dem Erdmagnetismus unterworfen. Ein Aufbruchsschmunzeln huscht über mein Gesicht, das ich in der reflektierenden Eingangstür-Glascheibe erkenne. Noch etwas bleich. Winterbleiche.
Beschliesse, die neue Gier mit einem gemütlichen 10-Uhr-Tee und dem letzten Vanillegipfeli aus Grossmutters Küche zu befriedigen. Abwarten und Tee trinken! Eine perfekte Lebensweisheit, welche die Bitternis des extraschwarzen Ceylon-Tees überstrahlen wird, projiziert einen Gedanken in Richtung meiner noch halb im Winterkleid sich abschottenden Seele. Diese, so hoffe ich, aus der Winterstarre erwecken wird. Vorfreude auf den Vorfrühling ist einfach die beste Leckerei! Begebe mich in meine kleine Küche, in deren Mitte der Holzherd wohlige Wärme verbreitet. Temperaturen entwickelt, die den Winter, die Nässe vergessen lassen. Tee aufsetzen. Schemel zum Küchentisch ziehen. Jetzt endlich die farbige Papierrolle zum Öffnen bereitlegen.
Den Schwarztee in der schwarzen Kanne mit heissem Wasser übergiessen. Das Grossmuttergebäck, das letzte, als Ehrung auf den Fayenceteller legen. Tee und Biskuit verbreiten Wohlgeruch, der an die für mich beste Zeit des Winters, die Weihnachtszeit, erinnern lässt. Jetzt der grosse Augenblick. Meine Pupillen auf die Papierrolle geheftet. Langsam öffnen. Freude verlängern. Denn so wundervoll verpackt, kann der Inhalt nur fabelhaft sein. Und tatsächlich, ein «Sie haben gewonnen» in hoffnungsvollem Grün. Ich rolle weiter. Scrolle analog und nicht digital. Bin glücklich, dass dies in unserer virtuellen Welt noch möglich ist.
«Sie haben eine Fahrt im Erdoskop gewonnen! Fahren Sie mit uns mit diesem Gerät in die frühlingshafte Erde. Betrachten Sie den Aufbruch in das Frühjahr. Was sich da alles tut! Den Tanz der Regenwürmer. Das lustvolle Tun der Engerlinge hin zum Schmetterling. Das Aufbrechen der Blumenzwiebeln. Alles ohne jede Gefahr. Stellen Sie sich einfach mit der Ihnen eigenen Fantasie, die Sie wie jeder Mensch als Geschenk der Schöpfung besitzen, vor, wie der Frühling unter der Erde bereits in vollem Aufbruch sich befindet. Auch Sie haben gewonnen. Nutzen Sie das aus!»
Und ich beschliesse, mir das alles in meinem Kopf vorzustellen. Die Reise im eigenen Erdoskop anzutreten! Bon Voyage auch Ihnen liebe Leserin, lieber Leser!